Strategisches Innovationsmanagement für kleine und mittlere Unternehmen

Entwicklung eines Modells für die frühe Innovationsphase von kleinen und mittleren Unternehmen und Evaluierung an einem Unternehmen des Sanitätsfacheinzelhandels.

Abstract

Entwicklungen, Umbrüche oder Innovationen in Märkten oder Technologien können auf Unternehmen massive Auswirkungen haben. Die Ursachen dafür liegen immer häufiger nicht in den Kernmärkten der betroffenen Unternehmen.

Deshalb ist es notwendig geworden sich mit Hilfe einer strategischen Vorausschau (Corporate Foresight) auf Chancen und Risiken solcher Entwicklungen vorzubereiten. Viele große Unternehmen haben entsprechende Abteilungen und Prozesse bereits implementiert. Aber auch mittelständische Unternehmen sollten sich mit einer solchen strategischen Komponente beschäftigen, da sich die anfänglich hohe Veränderungsbereitschaft junger Unternehmen im Laufe der Jahre häufig reduziert. Mit dem Modell für ein strategisches Innovationsmanagement wird ein Ansatz für die frühe Phase des Innovationsprozesses vorgestellt. Dieser ermöglicht es mittelständischen Unternehmen in einer „outsight-in Perspektive“ strukturiert Ideen für neue Geschäftsfelder zu ermitteln und schnell zur Umsetzung zu bringen. Anhand einer Evaluierung in einem deutschen Unternehmen des Sanitätsfacheinzelhandels konnte gezeigt werden, dass mit überschaubarem Aufwand, in sehr kurzer Zeit, neue Geschäftsideen erarbeitet werden konnten, die zur Strategie des Unternehmens passten und vorhandene Kompetenzen nutzen.

Im Mittelpunkt des Modells steht der Ideenentstehungsprozess, der von der Ideengenerierung über die Ideenkonkretisierung bis zur Ideenbewertung und -auswahl abläuft. Ausgangspunkt ist die Zielsetzung, die vor der ersten Ideengenerierung festgelegt werden muss. Diese Zielsetzung steht in engem Zusammenhang mit dem ersten Einflussfaktor „Unternehmensziele und Unternehmensstrategie“, um sinnvolle Ergebnisse sicherzustellen. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist das Vorhandensein eines entsprechenden Grundverständnisses für Innovation, welches möglichst breit in der Belegschaft des mittelständischen Unternehmens vorhanden sein sollte.

Abb. 1: Modell für ein strategisches Innovationssystem „outsight in“ für mittelständische Unternehmen (in Anlehnung an Hube, 2005, S. 107)

Da für die Umsetzung von Innovationsideen in mittelständischen Unternehmen meist viele der operativen Abteilungen involviert werden müssen, ist die rechtzeitige und richtige Sensibilisierung für das häufig neue Thema Innovation von entscheidender Bedeutung.

Das gilt auch für die Einbeziehung der richtigen Personen, die nicht unbedingt direkt aus dem Unternehmen sein müssen aber einen großen Einfluss ausüben. Das können Personen aus dem Umfeld des Familienunternehmens sein oder langjährige Berater und Dienstleister. Weiterhin ist der Einsatz zielgerichteter und auf mittelständische Unternehmen geeignete Methoden ein wichtiges Erfolgskriterium.

Die Methoden sollten schnell und einfach einsetzbar sein und Ergebnisse liefern, die zügig zu Entscheidungen und Maßnahmen führen. Schließlich sollten auch ausgewählte Kunden in den Ideenproprozess einbezogen werden. Bei der Auswahl sollte darauf geachtet werden, dass bei diesen Kunden ein ausreichendes Vertrauensverhältnis besteht.

Ausgangspunkt der inhaltlichen Arbeit für diesen „outsight-in“ Ansatz sind die verschiedenen Trendkategorien zur Analyse der Entwicklungen im Umfeld. Diese sind unterteilt in die Kategorien „Technologie“, „Politik“, „Wirtschaft“, „Soziodemografie“ und „Ökologie“. Damit wird ein systematischer Startpunkt für diese frühe Phase des Innovationsprozesses gelegt und stellt damit sicher, diesen besonders bedeutenden Abschnitt strukturiert zu durchlaufen.

Vorgehensweise zur Umsetzung

Zur Umsetzung des Modells schlagen wir folgende Vorgehensweise und jeweilige Instrumente vor:

Abb. 2: Vorgehensweise und Instrumente zur Umsetzung

Exemplarische Umsetzung in einem mittelständischen Unternehmen des Sanitätsfacheinzelhandels in Deutschland

Eine Branche, die unter anderem aufgrund des zunehmenden Wettbewerbs und der Abhängigkeit von der Gesetzgebung (z.B. §128 SGB V, Festbeitragsregelung etc.) permanenten Veränderungen unterworfen ist und darum Innovationen benötigt, ist der Sanitätsfacheinzelhandel in Deutschland (BVR, 2012). Aus diesem Grund eignet sie sich sehr gut für eine exemplarische Anwendung des Modells und eine kritische Prüfung auf Anwendbarkeit und Wirksamkeit. Die Anwendung erfolgte im Zeitraum Mai-September 2012 in einer Zusammenarbeit zwischen der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt und dem Unternehmen. Die Moderation des Prozesses wurde dabei von der Hochschule übernommen, könnte aber auch von einem entsprechenden Verantwortlichen aus dem Unternehmen geführt werden.

Im ersten Schritt wurden Informationen über die Grundlagen des Sanitätshauses: Unternehmensziele, Unternehmensstrategien und Unternehmensqualifikation zum Thema Innovation erhoben und dokumentiert. Hierfür eignete sich der Einsatz eines teilstrukturierten Interviews mit der Geschäftsführung. Daraufhin galt es alle im Unternehmen am Prozess Beteiligten Personen auf ein einheitliches Wissensniveau zum Thema Innovation zu bringen. Dies konnte durch eine gemeinsame Schulungseinheit und anschließenden Einzelgesprächen mit den Teilnehmern zur Vertiefung der Thematik realisiert werden. Ziel sollte es sein, jedem Mitarbeiter zu diesem Zeitpunkt zu verdeutlichen, „welche Rolle er für die Innovation und den Erfolg des Unternehmens spielen kann“(Spilker, 2010, S. 40). Bei der Auswahl der beteiligten Mitarbeiter wurde eine heterogene Gruppenzusammensetzung hinsichtlich Alter, Geschlecht, Ausbildung, Fähigkeiten und Kompetenzen gewählt, um den weiteren Prozessverlauf positiv zu unterstützen (Balmer/Inversini/Planta/Semmer, 2000; S. 142).

Nachdem die Grundlagen erfolgreich gelegt wurden, galt es die involvierten Mitarbeiter über das Thema Trends aufzuklären und somit deren Blick auf Einflussfaktoren außerhalb der eigenen Organisation zu lenken und sich hierdurch von alltäglichen Betriebsabläufen zu lösen. Zu diesem Zeitpunkt empfahl es sich ebenfalls Informationen über die unterschiedlichen Trendkategorien zu präsentieren, welche zuvor recherchiert und entsprechend aufbereitet wurden, um ein einheitliches Gesamtbild zu schaffen. Im Rahmen der Recherchearbeit konnten Kontakte und Vereinbarungen u.a. mit Technologieexperten geknüpft werden, die neben einzelnen Kunden als weitere, externe Prozessteilnehmer in die frühe Phase des Innovationsprozesses integriert wurden. Hierdurch gelang es weitere Perspektiven zu erschließen und die Diversität zu erhöhen. Sämtliche externe Personen galt es im nächsten Schritt durch Schulungseinheiten auf ein einheitliches Wissensniveau mit den Mitarbeitern zu bringen, damit alle Prozessteilnehmer (intern und extern) über einheitliche Kenntnisse verfügten, bevor mit der Ideengenerierung begonnen werden konnte und sich alle Teilnehmer das Erste Mal gemeinsam versammelten.

Die Schritte der Ideengenerierung und -konkretisierung wurden durch einen gemeinsamen Workshop mit allen beteiligten Personen umgesetzt. Auch konnte im Rahmen dieser Veranstaltung bereits eine erste, grobe Ideenbewertungen anhand der Kriterien: Machbarkeit, Marktfähigkeit und Wirtschaftlichkeit vorgenommen werden. Als Methoden für die Ideengenerierung eigneten sich die Trendportfoliotechnik und das 4 Stufenmodell (Hube, 2012, S. 44-48). Durch den Einsatz dieser Methoden konnten alle Teilnehmer über das im Vorfeld gelegte Wissensniveau im Workshop andocken und in mehreren Kleingruppen neue Geschäftsidee entwickeln. Im Anschluss wurden diese anhand des Business Model Canvas (Osterwalder, 2011, S. 18-48) konkretisiert und daraufhin im Plenum gegenseitig vorgestellt und diskutiert, ohne allerdings eine abschließende Bewertung vorzunehmen.

Diese erfolgte nach einer Pause von ca. einer Werkwoche, um ausreichend Zeit zur kritischen Reflektion zu geben. In der anschließenden Workshop-Nachbesprechung ging es dann darum, die konzipierten Geschäftsideen zu bewerten und eine oder mehrere von diesen für die Umsetzung auszuwählen. Für die Bewertung eignet sich neben der Berücksichtigung der Kriterien „Machbarkeit“, „Marktfähigkeit“ und „Wirtschaftlichkeit“ die Vereinbarkeit mit den Unternehmenszielen und -strategien, welche zu Beginn des Prozesses mittels des teilstrukturierten Interviews erhoben wurden. Direkt im Anschluss der Besprechung wurde die Umsetzung gestartet indem Verantwortlichkeiten, Termine und erste Zwischenergebnisse definiert wurden.

Abb. 3: Impressionen aus dem Workshop

Die Evaluierung hat gezeigt, dass das entwickelte, theoretische Modell mit der abgeleiteten Vorgehensweise im praktischen Einsatz funktioniert. Durch das methodische Vorgehen wurden zahlreiche, qualitativ hochwertige Ideen generiert, die bislang überhaupt nicht in Betracht gezogen wurden. Die Ideen standen völlig außerhalb der bisherigen Überlegungen und so konnten durch die zügige Konkretisierung ausgewählter Geschäftsideen aussichtsreiche Wettbewerbsvorteile erzielt werden. Für weitere Umsetzungen könnte ein erweiterter Methodenpool geprüft werden, insbesondere bei der branchenspezifischen Vorselektion relevanter Trends.

Autoren

  • Prof. Dr. – Ing Gerhard Hube; Professor für strategisches Innovationsmanagement,
    Leiter des Masterstudiengangs „Innovation im Mittelstand“, Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt
  • Fabian Engelhardt M.A.; Organisationsentwickler für mittelständische Unternehmen in den Bereichen Innovationsmanagement, Change Management und Teamentwicklung.

Literatur

  • Balmer, Ralph; Inversini, Simone; Planta, Annina; Semmer, Norbert: Innovation im Unternehmen: Leitfaden zur Selbstbewertung für KMU; vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich 2000; Seite 142
  • Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR): VR Branchen spezial: Sanitätsfachhandel; Deutscher Genossenschafts-Verlag eG 2012; Text und Redaktion: ifo Institut München
  • Däinghaus, Ralf: Der Frontmann, in Förster, Nikolaus (Hrsg.): Die kreativen Zerstörer der deutschen Wirtschaft, FinanzBuch Verlag GmbH, 2009, S. 21-32
  • Geschka, Horst: Innovationsmanagement mittelständischer Unternehmen, Gemeinschaftstagung der Gesellschaft für Kreativität und der IHK-Innovationsberatung Hessen, Frankfurt, 08. September 2007, Dokumentation unter: http://www.kreativ-sein.org/bl/innovationsmanagement.html , letzter Zugriff am 28.01.2013
  • Hube, Gerhard: Einsatz von Zukunftstechnologien, Vorlesungsskript, Hochschule Würzburg-Schweinfurt, 2012
  • Hube, Gerhard: Beitrag zur Beschreibung und Analyse von Wissensarbeit, Jost-Jetter Verlag, 2005
  • Meyer, Jens-Uwe: radikale innovation, das handbuch für marktrevolutionäre, Business Village Verlag GmbH, Göttingen, 2012
  • Osterwalder, Alexander; Pigneur, Yves: Business Model Generation, Campus Verlag, 2011
  • Raufer, Heinz: Er kriegt sie alle ins Bett, in Förster, Nikolaus (Hrsg.): Die kreativen Zerstörer der deutschen Wirtschaft, FinanzBuch Verlag GmbH, 2009, S. 143-146
  • Spilker, Martin: Innovationserfolg durch Unternehmenskultur, in: Gundlach, Carsten; Glanz, Axel; Gutsche, Jens (Hrsg.): Die frühe Innovationsphase; Symposion Publishing GmbH 2010; S. 40

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